Ein Artikel von Petra Cyganiak und Jürgen Wolf
Ortrud Grön
* 28. Januar 1925 + 18. Juni 2020
Im Juni 2020 hat sich Ortrud Grön, Traumforscherin, Traumtherapeutin und Mitbegründerin der Bayerischen Akademie für Gesundheit Lauterbacher Mühle e.V., mit 95 Jahren auf den Weg in andere Gefilde unseres Daseins gemacht.
„Ich muss mich auf den Weg machen,
zu suchen, wo das Leben sich in mir verbirgt.“
Ortrud Grön
Dieser Satz von Ortrud Grön ist wie ein Leitsatz für mich.
Meine frühen Lebensumstände waren so, dass ich nicht auf die Idee kam, über und für mich zu sprechen. Später fühlte sich das völlig falsch an, aber da hatte ich schon keine Stimme mehr.
Eines Tages las ich einen Text von Ortrud über das Träumen. Den Moment, als die Resonanz dazu mich erfasste, erinnere ich noch heute ganz genau. Und diese Resonanz hat mich seither nie mehr verlassen. So lernte ich durch Ortruds Arbeit, Träume zu verstehen und begriff nach und nach, dass meine Träume für mich sprechen – und wo das Leben sich in mir verbirgt und nach Freiheit ruft. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Jürgen Wolf – unterwegs mit der Traumarbeit nach Ortrud Grön
Mein Lehrer Jürgen Wolf hat lange Zeit mit Ortrud Grön zusammengewirkt.
Er lehrte als Dozent Traumarbeit nach Ortrud Grön und hatte als Heilpraktiker für Psychotherapie eine Praxis für Traumanalyse.
Er berichtet hier über seinen Weg und die Traumarbeit:
Ich begegnete Ortrud Grön 1986 als Patient in ihrer Klinik. Mit 48 Jahren hatte ich einen Herzinfarkt erlitten und auf der Intensivstation dann fast jede Nacht geträumt. Aus der Lektüre von Freud und C.G. Jung wusste ich, wie wertvoll das eigene Traummaterial sein kann und hatte daher alle Träume aufgeschrieben. Ich fand eine Reha-Klinik, in der Therapeuten auch mit den Träumen ihrer Patienten arbeiten. So lernte ich Ortrud Grön an ihrem Wirkungsort, der Herz-Kreislauf-Klinik am wunderbaren Kraftort „Lauterbacher Mühle“ an den Osterseen, kennen. Sie fand es als Traumexpertin und Therapeutin wunderbar, wenn Patienten ihre Träume zur Reha mitbrachten.
Die Bilder des Traumes ernst nehmen
In der Entwicklungsgeschichte unseres Gehirns war zuerst die Verarbeitung von Bildern da. Erst viel später kamen Texte hinzu. Ortrud Gröns Herangehensweise an die Träume ist, die Bilder der Träume ernst zu nehmen und so deren Sprache zu entschlüsseln. Der Traum benutzt Metaphern und Gleichnisse, mit denen er seine Geschichten erzählt. So sieht Ortud alles Geschaffene als Gleichnis, für das es die geistige Entsprechung zu finden gilt. Ferner übertragen wir in der Traumarbeit die Trauminhalte von der Objekt- auf die Subjektebene. Was damit genau gemeint ist, möchte ich am Bild des Baumes deutlich machen.
Der Baum im Traum
Der Baum lebt von Wasser, Erde, Luft und Sonnenlicht.
Wasser ist ein Gleichnis für unsere Gefühle. So ist es doch hochinteressant ist, wie deckungsgleich die Bezeichnungen für Wasser und Gefühle sind. Wasser wird geklärt, es kann aufgestaut oder erhitzt werden, es kann abkühlen, klar oder aufgewühlt sein … All das kann man gleichermaßen für unsere Gefühle sagen. Ich möchte den Trauminteressierten und Leser ermuntern, diese Beispiele für sich fortzusetzen.
Der Klärungsprozess des Wassers besteht aus einem permanenten Kreislauf aus Verdunstung und Niederschlag. Ein solcher Klärungsprozess ist oft auch in unseren Gefühlen nötig und dort erfordert er, dass wir die Widersprüche zwischen Unzufriedenheit und Zufriedenheit in uns aufspüren und klären.
Der Baum wurzelt in der Erde, diese gibt ihm Halt, ist seine Grundlage, von der aus er wachsen, sich entfalten und Früchte tragen kann.
Unsere Basis, auf der wir uns entwickeln können, ist die Kreativität. Mit diesem schöpferischen Potential geben wir unserem Leben Gestalt und Ausdruck.
Der Luftraum, aus dem wir den lebensnotwendigen Sauerstoff einatmen, ist der Raum unbegrenzter Möglichkeiten. Er ist das Gleichnis für ein Bewusstsein, das für seine Entwicklung keine Grenzen anerkennt – „die Gedanken sind frei …“ Die Luft steht für die geistige Dimension des Daseins. Hier können wir uns mit unseren Widersprüchen auseinandersetzen und neuen Ideen und Anregungen nachgehen und damit unseren eigenen Wachstumsprozess fördern.
Im Mittelpunkt unseres Sonnensystems steht die Sonne und strahlt Licht, Wärme und Energie aus, dies alles macht das Leben überhaupt erst möglich. Übertragen auf uns, stellt das die zentrale Aufgabe in unserem Leben dar – für Licht, Wärme und Harmonie zu sorgen, wenn wir nicht auf der Schattenseite des Lebens erfrieren wollen. Indem wir uns diese Gleichnisse bewusst machen, können wir lernen, die Sprache der Träume zu verstehen.
Eine ordnende Struktur in den Träumen
Darüber hinaus hat Ortrud in den Träumen eine ordnende Struktur erkannt, wie man sie ähnlich auch in der Entwicklungspsychologie der Kinder findet. Diese Struktur kann man bewusst nutzen, um Träume zu gliedern und so ihre Botschaft leichter zu verstehen.
- Das 1. Bild ist der Punkt einer ersten Bewusstwerdung, der Traum zeigt mir, dass ein Problem existiert.
- Das 2. Bild bringt uns zum Thema einer Ambivalenz. Die Zwei ist der Zweifel und sie fordert mich zu einer Entscheidung auf, wie ich mit dem Problem umzugehen gedenke.
- Die 3 ist die Zahl der Synthese, in der Gegensätze erkannt und so überwunden werden können. Sehr deutlich ist die Ähnlichkeit zum Altindischen, wo wir von der großen Dreiheit sprechen – Brahma, der Schöpfer, Shiva, der Zerstörer, und Vishnu, der Erhalter. Im Traum bietet sich im dritten Bild meistens eine Erkenntnis an, die mir eine Möglichkeit aufzeigt, das alte Fahrwasser zu verlassen.
- Im 4. Bild geht es um die ordnende Gestaltung, wie ich meine Erkenntnis praktisch umzusetzen gedenke. Für die Phytagoräer war die Vier die ideale Zahl schlechthin. Der Viererschritt in der Addition der ersten vier Zahlen ergibt die alles umfassende Vollkommenheitszahl: 1 + 2 + 3 + 4 = 10.
Soweit ein kleiner Ausflug in die Welt der Zahlen.
Die Traumarbeit nach Ortrud Grön
Die Beispiele zeigen schon, wie wir in der Traumarbeit nach Ortrud Grön (TAOG) aufgefordert werden, alle Dinge nach ihrem geistigen Gehalt zu hinterfragen. So sind Tiere im Traum aufschlussreiche Bilder für unsere emotionalen Verhaltensweisen, der Hund beispielsweise kann ein Gleichnis für Treue und Wachsamkeit uns selbst gegenüber sein, die Katze ein Bild für unsere Autonomie, Vögel Repräsentanten für unseren geistigen Höhenflug und Blumen stehen für das Aufblühen unserer Wünsche.
Wer nach diesen Prinzipien die eigenen Träume anschaut, wird überrascht sein, wie plausibel manches Traumbild auf einmal wird und wie leicht man so dem anscheinend verborgenen Inhalt der Träume auf einmal auf die Spur kommen kann.
Jürgen Wolf
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